Die UNAM im Süden von Mexiko-Stadt ist die größte Hochschule Mexikos. Aber der Campus ist auch für sich einen Besuch wert – wegen des Wandgemäldes von Juan O´Gorman.
Von der Insurgentes, der 28 Kilometer langen Süd-Nord-Achse der Stadt, ist der Klotz nicht zu übersehen: Mehrere Stockwerke hoch dominiert die Zentralbibliothek der Universität den großzügig dimensionierten Campus zu ihren Füßen, der 2007 zum Unesco-Welterbe deklariert wurde. Das enorme Wandgemälde des mexikanischen Künstlers und Architekten Juan O´Gorman, das drumherum das Gebäude bedeckt, dürfte zu dieser Entscheidung beigetragen haben.
Dabei sieht es drinnen zunächst “normal” aus: Bücher, Regale, Gänge, Computerarbeitsplätze. Von außen aber plakatierte Juan O´Gorman, dessen Vater ein irischer Maler war, die Geschichte seines Landes auf die vier Außenwände, von der vorspanischen Zeit bis in die Moderne.
Das Besondere ist nicht nur die 4000 Quadratmeter große Fläche, auf denen sich der Architekt und Künstler Anfang der fünfziger Jahre austoben durfte. Damals zog die im Zentrum der Altstadt beheimatete Universität an den damaligen Stadtrand auf den neu errichteten Campus .
O´Gorman entschied sich, seine vier Murales (spanisch für Wandgemälde) nicht aufzumalen, sondern sie aus tausenden Mosaiksteinchen zusammenzusetzen – eine fast schon titanische Aufgabe, die den Künstler auf eine Reise durch ganz Mexiko führte, wie er es in der detaillierten Beschreibung der Murales auf der Website der Universität nacherzählt (auf Spanisch).
Eroberung, Götter und Arbeiter
Den Betrachter dürfte das Gesamtprodukt zunächst mal erschlagen. Daher gilt: auf sich wirken lassen (am besten vom Campus-Gelände an der Südseite des Gebäudes), dann lassen sich die Details besser erkennen. Auf der Südseite des Murals dreht sich alles um die spanische Eroberung und Herrschaft – erkennbar am zentral platzierten Wappen der Habsburger-Könige, die Spanien und sein amerikanisches Kolonialreich von 1516 bis 1700 regierten (mit Fortführung durch die Bourbonen-Dynastie bis 1821).
Links und rechts hat O´Gorman unterschiedliche Motive eingeführt: den Priester, der die Maya-Kodizes verbrennt, den Conquistador, der die Indígenas Mexikos unterwirft, den Stadtplan von Tenochtitlán, der Vorgängerstadt von Mexiko-Stadt, Kreuz und Schwert. Es lohnt sich, auch die anderen Gebäudeseiten anzuschauen. Sie illustrieren die vorspanische Ära, die Phase der mexikanischen Revolution (Arbeiter und Bauern) und die moderne Zeit mit dem Wappen der Universität. Eine komplette Beschreibung aller Details findet ihr auf der Murales-Website der UNAM – auf Spanisch.
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Die UNAM ist in der mexikanischen Geschichte alles andere als nur ein Schmuckstück: Aus ihren Reihen ging beispielsweise Mario Molina, jüngst verstorbener Preisträger des Chemienobelpreises (1995), hervor, ebenso wie Schriftsteller Octavio Paz (1960 Nobelpreis für Literatur) und Alfonso García Robles (1982 Friedensnobelpreis). Die Aufnahme ist nicht ganz einfach: Entweder hat man einen Oberstufenabschluss der UNAM-eigenen Preparatorias in der Hand, oder man besteht eine Aufnahmeprüfung. 2019/2020 waren fast 250.000 Studenten eingeschrieben. Zählt man die Schüler der Oberstufen hinzu, sind es sogar 360.000.
Die Studenten der UNAM sind zudem Protagonisten wiederholter Proteste gewesen, insbesondere im Zusammenhang mit den Demonstrationen 1968, in denen selbst der damalige Rektor der UNAM Partei ergriff. Und im Sport agiert die Uni-Fußballmannschaft “Pumas” (die ich mal bei einem müden Ligaspiel erleben konnte), direkt gegenüber der Bibliothek im Olympiastadion.
Hinweise für Besucher
Die Einrichtungen der UNAM auf ihrem Campus und weiteren Grundstücken wie die Oberstufenschulen sind seit Mitte März bis auf Weiteres geschlossen (Stand 22.10.2020, aktualisiert). Grund ist die Covid-19-Pandemie. Das betrifft auch die Zentralbibliothek, das Olympiastadion und die Kulturstätten auf dem Gelände. Eine Wiedereröffnung wird erst ab einem bestimmten Wert der Infiziertenzahl in Mexiko-Stadt erfolgen, teilte die UNAM im Juni 2020 mit.
Der Lehrbetrieb ist allerdings nicht unterbrochen: Vorlesungen und Hausarbeiten werden im virtuellem Unterricht umgesetzt. Und das weitläufige Gelände der UNAM im Südwesten von Mexiko-Stadt ist weiterhin für Fußgänger und Radfahrer frei zugänglich. Am Wochenende füllen sich daher der Hauptplatz und das interne Campus-Straßennetz mit Spaziergängern, Skatern und Sportlern.
Motorisierte Fahrzeuge können nicht auf das Gelände, weil die Zufahrtsstraßen rundherum durch Schranken gesperrt sind. Autofahrer können im Bereich der jeweiligen Zugänge am Straßenrand parken, allerdings auf eigene Gefahr und oft ohne Bewachung vor Ort. Ausnahme: Vor dem zentralen Bereich, Höhe Bibliothek, sind am “Circuito Escolar” sogenannte “Franeleros” aktiv – Autoputzer, die gegen ein Trinkgeld Fahrzeuge einweisen und während der Abwesenheit ihrer Besitzer ein Auge auf sie werfen (können).
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Im Hollywood-Film “Frida” von 2002 ist ein anderes bekanntes Bauwerk von O´Gorman zu sehen: das Casa-Estudio von Frida Kahlo und Diego Rivera, nicht weit entfernt vom Uni-Gelände im Barrio San Angel gelegen. Hier lebte das berühmte Künstlerpaar in den dreißiger Jahren.
Architekt O´Gorman, Vertreter des Funktionalismus-Stil in der Architektur, errichtete dabei zwei nüchtern-mininal wirkende Wohn- und Arbeitsgebäude, die durch eine Brücke miteinander verbunden sind – einen für Diego, den anderen für Frida. Das Doppelgebäude ist heute ein Museum und lässt sich besichtigen.
Werke von O`Gorman lassen sich außerdem im Castillo de Chapultepec finden (ein Gemälde zur Unabhängigkeit Mexikos) oder an der Fassade des Transportministeriums. Leider wurde sein eigenes Haus in den sechziger Jahre von neuen Besitzern abgerissen. O´Gorman starb 1982 in Mexiko-Stadt.
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