Heute vor 63 Jahren ist Diego Rivera in Mexiko-Stadt gestorben. In Europa dürfte er als Ehemann der Malerin Frida Kahlo bekannt sein, aber hier in Mexiko war er als Künstler zu Lebzeiten weitaus bedeutender – und seine Werke und Sammlungen sind in der ganzen Stadt zu finden. Ein Besuch lohnt sich. Ein Überblick.

Ich kann mich an eine Fahrradtour vor 20 Jahren in dieser Stadt erinnern, als ich mit einer Gruppe anderer Rad-Verrückter (Anfang der Nuller-Jahre galten Pedalfreaks in Mexiko-Stadt als bekloppt oder zu arm für ein Auto, je nach Sichtweise) abends durch den Süden der Stadt fuhr – und am Ende der Tour vor einem wuchtigen, dunklen Gebäude stand. Wie ein Klotz wirkte der Bau, fast wie eine Pyramide. Genau das war die Intention von Diego Rivera. In den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts plante er dieses Museo de Anahuacalli als Ort für seine prähispanische Kunstsammlung – passend in Form eines aztekischen Tempels.

Diego Rivera: Wandgemälde und Portraits

Die Fertigstellung erlebte der 1886 geborene Künstler nicht mehr, er starb 1957, drei Jahre nach dem Tod seiner Frau Frida Kahlo, die außerhalb Mexikos bekannter sein dürfte als Rivera. Aber man sollte Rivera nicht auf die Rolle des charmanten, übergewichtigen, an der Geschichte seines Landes interessierten und politisch aktiven Sidekicks der selbstbewussten Frida (beide waren Mitglieder der Kommunistischen Partei Mexikos) reduzieren: Diego Rivera gilt in Mexiko neben seinen künstlerischen Mitstreitern David Alfaro Siqueiros und José Orozco als wichtigster Vertreter der mexikanischen Murales – der Wandgemäldekunst -, die vor allem in Mexiko-Stadt auf jedem Pflichtprogramm für Besucher stehen sollten. Daneben war Rivera bekannt für Portraits und kubistisch geprägte Werke, aber die Murales überdecken quasi sein Gesamtwerk.

An nur einem Tag das Werk Riveras persönlich sehen zu wollen, ist eigentlich unmöglich. Es sind zu viele Orte, die zudem quer durch die Stadt verteilt sind. Aber wer sich darauf einlassen möchte (oder Teile davon), könnte es in dieser Reihenfolge aufziehen – quasi meine Lieblingsliste zu Riveras Werken:

Karte: Diego Rivera in Mexiko-Stadt

Vollbildanzeige der Karte


Palacio Nacional am Zócalo: Starten wir im Nationalpalast im Herzen der Stadt. Hier am Zócalo ist sowieso für Touristen der ideale Anfang gegeben. Im politischen Machtzentrum des Landes hat Rivera mehrere Wandgemälde angefertigt – allem voran das monumentale Fresko zur Geschichte seines Landes im Treppenaufgang zum ersten Stockwerk.
Da geht es um die (idealisierte) vorspanische Vergangenheit, um den Einfall der Spanier (Krieg, Versklavung, Vergewaltigung), die nachspanische Unabhängigkeit mit ihren teils verwirrenden Entwicklungen und schließlich die Moderne – Rivera malte das Bild in den vierziger Jahren, geprägt von Kommunismus und Faschismus.
2016 wollte ich bei einem Besuch in Mexiko erwartungsvoll das Fresko bestaunen – und stand vor einem Gerüst 🙁 … mittlerweile ist das Mural restauriert. Direkt daneben hat Rivera den Mercado de Tlaltelolco gemalt – er zeigt die Vielfalt und Vitalität eines aztekischen Marktes auf, wie ihn die Spanier bei ihrer Ankunft erlebt haben dürften (und beschrieben haben).


Antiguo Colegio de San Ildefonso: Der nur ein paar Hundert Meter entfernte Palast von San Ildefonso war bis 1989 Sitz des Nationalen Gymnasiums, genauer der Oberstufe (Escuela nacional preparatoria) – weswegen die nachrevolutionäre Regierung mit plakativen Motiven die Geschichte des Landes (und sein Weg in die Moderne) darstellen wollte.
Für Rivera, Orozco, Siqueiros und andere Muralistas war dies der Beginn ihres Wirkens, im Fall Riveras mit “La creación” im Theater des Gebäudes. Für Muralistas-Fans ist das Gebäude so oder so einen Besuch wert, auch wegen Orozcos Portrait von Eroberer Cortés und seiner Geliebten Malinche, die als Übersetzerin für Cortes von enormer Bedeutung war.


Secretaría de Educación Pública: Das Erziehungsministerium ein paar Straßenblöcke weiter ist ebenfalls von Rivera und anderen Künstlern im Innern verziert worden. Auf einem der Gemälde könnt ihr übrigens Frida Kahlo entdecken, wie sie einem Soldaten ein Gewehr übergibt. Frida ist überhaupt mehrmals in Diegos Werken verewigt. Der Eintritt zu den Gängen ist erlaubt, das Ministerium ist aber nur unter der Woche geöffnet …


Palacio de Bellas Artes: Es geht weiter, einen halben Kilometer Richtung Westen, zum Palast der Schönen Künste. 1934 gebaut, beherbergt der Musiksaal etliche beeindruckende Wandgemälde in seinen Gängen – wer den “Frida”-Film mit Salma Hayek gesehen haben sollte (mehr dazu unten), wird ein Werk von Diego Rivera im Palacio bereits kennen: “El hombre controlador del universo” war ursprünglich eine Arbeit, die Rivera für das Rockefeller Center in New York anfertigte – wegen der Darstellung des russischen Revolutionärs Lenin aber das Missfallen seiner Auftraggeber erregte und zerstört wurde. Rivera erstellte das Fresko später in Mexiko neu, diesmal mit Lenin und auch Karl Marx.


Museo Mural Diego Rivera: Der Palacio liegt am Alameda-Park, der grünen Lunge der Altstadt. Direkt auf der anderen Seite des Parks hängt im Museo Mural Diego Rivera nur ein einziges Wandgemälde, das “Sueño de una tarde dominical en la Alameda”. Mein Lieblingsbild von Diego Rivera, weil es die mexikanische Geschichte anhand vieler Figuren zusammenbringt. Mit einem Wort: Grandios. Da findet sich Francisco I. Madero, der Anführer der Revolution, oder Sor Juana de Ines, Mexikos erste Poetin – aber der Star ist mittendrin der kleine Diego an der Hand der Catrina, des aufwendig kostümierten Skeletts. Mit diesem Bild erhob Rivera die schon ältere Catrina zur Symbolfigur des mexikanischen Tag der Toten. Das riesige Mural hing ursprünglich im Hotel Regis, welches beim Erdbeben von 1985 einstürzte. Nach dem Kollaps wurde es geborgen und mit dem Neubau in Szene gesetzt.

Frida Kahlo y Diego Rivera
Frida Kahlo und Diego Rivera. Foto: Carl Van Vechten Photographs/Library of Congress (http://www.loc.gov/rr/print/res/079_vanv.html)

Museo Frida Kahlo (Casa Azul): Zehn Kilometer entfernt, im Geburtshaus von Frida Kahlo im Stadtteil Coyoacán, lebte das Ehepaar Kahlo/Rivera. Nach dem Tod der beiden wurde es der Öffentlichkeit geöffnet. Hier finden sich keine Werke von Rivera, dafür aber Gemälde seiner Frau. Das Haus ist für Frida-Fans ein Muss.


Museo Casa Estudio Diego Rivera y Frida Kahlo: Auch das später errichtete Arbeits- und Wohnhaus des Ehepaars im zwei Kilometer benachbarten Stadtteil San Angel westlich von Coyoacán zeigt keine Arbeiten von Diego. Dafür aber könnt ihr sein Atelier bestaunen. Im Doppelhaus war die eine Hälfte für Diego Rivera reserviert, in der anderen residierte Frida Kahlo. Auch hier gilt: Wen das Atelier nicht interessiert, dürfte sich als Architekturfan für den ungewöhnlichen Stil des Gebäudes interessieren.


Museo Anahuacalli: Wir fahren weiter, diesmal wieder Richtung Osten zum direkt südlich von Coyoacán gelegten Museo Anahuacalli. Der düstere Bau präsentiert drinnen Vitrinen mit prähispanischen Artefakten – Diego Riveras persönliche Sammlung, die der geschichtsbewusste Maler dem Staat vermachte. Wen vielleicht Töpferwaren und Götterabbildungen nicht interessieren, sollte zumindest wegen des Baus selbst dorthin fahren – und die Aussicht von der oberen Terrasse genießen.


Museo Dolores Olmedo: Weitere zehn Kilometer südlich von Coyoacán, im Stadtteil Xochimilco, liegt die Hacienda La Noria, die einstige Villa von Dolores Olmedo, einer Unternehmerin und langjährigen Förderin von Diego Rivera. Die 2002 verstorbene Olmedo war nach dem Tod Riveras Nachlassverwalterin seiner Werke und öffnete ihre Sammlung 1994 dem Publikum. Nicht nur deswegen lohnt ein Besuch. Das weitläufige Areal beherbergt Pfaue und die mexikanischen Nackthunde, die Xoloitzcuintles – und neben Riveras früheren Arbeiten wie “El matemático” oder “Hamaca” auch bekannte Gemälde von Frida Kahlo. Zudem ist das “Olmedo” bekannt für seine Catrina-Ausstellungen am Tag der Toten.


Capilla Riveriana: Wir fahren zurück, vorbei am Zentrum Richtung Nordosten, und nochmals etwa 30 Kilometer quer über den Grund des verschwundenen Sees, der einst Mexiko-Stadt und seine Vorläuferstadt, das aztekische Tenochtitlán, umfasste. Dort, auf der anderen Seite des riesigen Brachlandes, liegt die Kleinstadt Texcoco. Hier hat Diego Rivera in der Agraruniversität von Chapingo einen Festsaal mit einem beeindruckenden Deckenfresko ausgestaltet – der Saal ist nach ihm benannt.


Das Mural Alameda-Sueño ist für Diego-Rivera-Fans ein Muss.

Rivera: Nicht alles oder noch mehr

Nicht alles zu schaffen? Dann empfehle ich Murales-Fans zumindest den Besuch des Palacio Nacional und der einen Kilometer entfernten Palacio de Bellas Artes und Museo Mural. Frida-Fans sollten sich hingegen auf die Casa Azul, das Casa Estudio und Dolores Olmedo konzentrieren.

Und wer danach noch Kapazitäten und nicht genug von Diego Rivera hat, sollte einen Abstecher in seine Geburts- und Universitätsstadt Guanajuato machen. Die ist 400 Kilometer nordwestlich von Mexiko-Stadt entfernt, lohnt sich allein schon wegen ihrer kolonialen Architektur sowie Ausgeh- und Kulturangebote und beherbergt ein eigenes Museum im Geburtshaus des Künstlers.

Noch immer nicht genug oder etwas zur Vorbereitung? Dann schaut euch den Hollywood-Film “Frida” an. Auch wenn er historisch nicht immer akkurat die Biografie Frida Kahlos nachzeichnet, ist der Streifen eine gute Einführung in die Person von Ehemann Rivera – und seine Arbeit.
mc/voyyestoy.com




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