Schon mal einem lebendigen Skelett, einer Catrina, auf der Straße begegnet? Elegant gekleidet? Das kann dir in diesen Oktobertagen in Mexiko durchaus passieren.

Am vergangenen Freitag war ich im Zentrum von Mexiko-Stadt unterwegs. Menschen eilen durch die Straßen der Altstadt, der Verkehr ist auf Vor-Corona-Niveau.

Dabei sind die Corona-Infektionszahlen weiterhin hoch, und noch immer gelten Einschränkungen für Freizeitaktivitäten. Fiebermessgeräte, Gel und Maske sind in Geschäften Pflicht, auf der Straße tragen gefühlt viele Menschen die „Cubreboca“, den Mundschutz.

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Und mitten im Trubel steht ein schwarz gekleidetes Skelett mit Hut und posiert für einen Fotgrafen. Ah ja, Día de Muertos ist ja bald. Die Catrinas sind wieder in Mexiko-Stadt unterwegs.

Posada und seine Calavera

Die Catrina, das war ursprünglich ein grinsendes Skelett, das der Grafiker José Guadalupe Posada (gestorben 1913 in Mexiko-Stadt) kreiiert hatte. Zumindest gilt er als Vater dieser Figur. Posada nannte sein mit einem großen Damenhut geschmücktes Skelett die „Calavera garbancera„. Solche Figuren stellten damals eine Satire auf die damalige Oberschicht im Mexiko des späten neunzehnten Jahrhunderts dar. „Catrin“ oder „Catrina“ bezeichnete auch ein Mitglied eben dieser europäisch orientierten Oberschicht, die eine Säule der damaligen Diktatur des Generals Porfirio Díaz darstellte.

Catrinas in Mexiko-Stadt in einem Geschäft. Foto: Miguel Castro/voyyestoy.com
Catrina-Figuren n Mexiko-Stadt in einem Geschäft. Foto: Miguel Castro/voyyestoy.com

Heutzutage ist die Catrina aber ein Wahrzeichen Mexikos – und steht beispielhaft für das sagen wir mal „entspannte“ Verhältnis seiner Menschen zum Tod. Egal ob reich oder arm, mächtig oder nicht: Der Tod holt uns irgendwann alle ein, so die Denkweise. Aber er stellt keinen Bruch dar, die Verstorbenen sind immer noch da, nur sozusagen auf der anderen Seite der Tür. Also müssen wir den Tod nicht fürchten, sondern als Teil des Lebens begreifen und die Toten in Erinnerung halten. Wer hingegen nicht erinnert, der vergisst sie.


Fotostrecke: Calaveras und Calacas in Mexiko-Stadt und San Miguel de Allende

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Am kommenden „Día de Muertos„, dem Tag der Toten und zugleich wohl wichtigsten Fest der Mexikaner, wird also zu Hause, in der Straße und auf Friedhöfen gefeiert – auch laut und bunt, und die Verstorbenen werden mit deren Lieblingsgetränken und -essen verköstigt. Dabei meint der „Día de Muertos“ die Tage vom 28. Oktober bis 3. November, also vor, an und nach Allerheiligen und Tag der Verstorbenen.

Und da passt die ikonische Catrina (oder Catrin) bestens hinein. Es ist so ähnlich wie Karneval, wenn Kinder und Erwachsene entsprechend maskiert herumlaufen – am Rande von Veranstaltungen zum Tag der Toten und dem davor anliegenden Halloween-Fest. Und das in einem Land, dessen Menschen so sehr unter Massakern, Gewalt an Frauen und Armut leiden.

Diego malt die Catrina

Dass die „Calaca“ (mexikanisch für Skelett) aber heutzutage so populär ist, hat auch was mit dem Muralisten Diego Rivera zu tun: Jahrzehnte nach Posadas Tod und dem Ende der Diktatur setzte er 1947 das Skelett elegant gekleidet in seinem imposanten Wandgemälde „Sonntagstraum im Alameda-Park“ prominent in Szene und gab ihr den Namen „Catrina“ – flankiert von Frida Kahlo, dem kleinen Diego und Grafiker Posada.

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Damit huldigte der geschichtsbewusste und politisch aktive Rivera dem Maestro und verschob zugleich die ursprüngliche politische Stoßrichtung der Figur Richtung mexikanische Folklore. Die Calaca trägt ein elegantes Kleid mit einem federgeschmückten Hut, den sie von Posada erhalten hatte.

Wer das Mural sehen will: Es steht mitten in Mexiko-Stadt in einem extra hierfür errichteten Museumsgebäude in der Altstadt nahe des Palacio de Bellas Artes. Es lohnt sich (mehr dazu mal hier im Blog).

Das Wandgemälde von Diego Rivera: „Ein Sonntagstraum im Alameda-Park“. Mittendrin: die Catrina

Es ist übrigens nicht schwer, sich in ein Skelett zu verwandeln: Schminke, halbe Stunde Arbeit, fertig. Eine Gesichtshälfte reicht vollkommen. Wichtig sind die schwarzen Kreise rund um die Augen(höhlen). Ich hab mich das zwar nicht getraut, aber wie das aussieht, lässt sich auf Instagram (Catrines und Catrinas) oder flickr bewundern. Grad kurz vor dem 1. November wird es überall entsprechende Angebote zur Verkleidung geben.

Eine Catrina für 1699 Pesos

Die Catrina (oder der Catrin) ist derzeit auch in der Werbung und im Supermarkt präsent. Da gibt es zum Beispiel eine Catrina-Figur, die offenbar Frida Kahlo nachempfunden ist – für schlappe 1699 Pesos (umgerechnet circa 70 Euro) zu erwerben. Leckere Schädel(chen) gibt es aus Schokolade für deutlich weniger Geld. Für die Verzierung der Altäre am Tag der Toten bietet sich „papel picado“ (gestanztes Papier) zum Aufhängen an, von dem die Skelette einen angrinsen. Die omnipräsenten Straßenhändler verkaufen „calacas“ in Lebensgröße. Oder man sieht eine Catrina in der Öffentlichkeit posieren – so wie am vergangenen Freitag vor dem Palacio de Bellas Artes:

Eine Catrina vor dem Palacio de Bellas Artes in Mexiko-Stadt. Foto: voyyestoy.com

Leider verhindert die Corona-Pandemie jegliche öffentliche Feiern wie in den Vorjahren, als zum Beispiel hunderte Catrinas in Mexiko-Stadt durch die Altstadt zogen. Als mit einer Riesenparade der „Tag der Toten“ gefeiert wurde – die übrigens erst anlässlich der Dreharbeiten zum James-Bond-Film „Skyfall“ vor wenigen Jahren geboren wurde. Und als auf dem Zócalo ein großer Altar stand, geschmückt mit der Cempasuchil-Blume, mit der den Verstorbenen der Weg zum Gabentisch geebnet wird.

Corona-Pandemie: Friedhöfe geschlossen

Selbst Friedhöfe werden in Mexiko-Stadt an den Festtagen geschlossen bleiben – aus Furcht vor einer Ausbreitung der Corona-Pandemie. Schade. Denn andernfalls würde man dort zum Beispiel auf Musikgruppen treffen, die an den Gräbern Ständchen bringen – so wie 2018 in der nordwestlich gelegenen Stadt San Miguel de Allende (Foto). Aber das wird sicherlich den einen oder anderen nicht abhalten, kostümiert oder zumindest entsprechend geschminkt auf die Straße zu treten. Und wer will, kann es zu Hause mal selbst ausprobieren, in die Rolle einer Catrina zu schlüpfen: Eine Video-Anleitung zur Schminke gibt es hier.
Autor: mc/voyyestoy.com


Ein Altar für die „Difuntos“ (Verstorbenen), hier 2018 in einem Restaurant in Mexiko-Stadt

Altäre und Erinnerung: Der Tag der Toten ist trotz des öffentlichen Spektakels primär ein Moment der Erinnerung an verstorbene Angehörige und Freunde. Deswegen sieht man auf den Friedhöfen die Menschen sich an den Gräbern versammeln, und in mexikanischen Haushalten oder Geschäften werden an diesen Tagen eigene Altäre mit Fotos der Verstorbenen aufgestellt. Mehr dazu bald hier auf mexico.voyyestoy.com.

Filmtipp: Was macht den Día de Muertos so besonders in Mexiko? Die wunderschönen Animationshits „Coco“ von Disney-Pixar von 2017 (Youtube-Link) (eine Hollywood-Produktion, die auch in Mexiko positiv aufgenommen wurde) oder Guillermo del Toros „Libro de la Vida“ (Youtube-Link) von 2014 geben einen guten Einblick.


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