Es gibt in Mexiko-Stadt eigentlich nur zwei Jahreszeiten: die mit Wasser. Und ohne Wasser. Derzeit ist „mit“ angesagt. Viel „mit“ …
Vor Jahren war ich mal in Deutschland in der Eifel an der Grenze zu Belgien unterwegs, im Prümer Land. Vom Land der Fritten und Schokolade kommend, rollt man auf der A60 durch relativ dünnbesiedelte und waldreiche Gegenden in Richtung Moseltal. Irgendwo dort baute sich vor uns eine dunkle Wand auf, hoch gen Firmament strebend. Es war, als ob man direkt in eine graue Masse hineinfahren wollte. Und als der Regen dann einsetzte, war ich froh, in einem trockenen Innenraum zu sitzen, während es um uns krachte.
So in etwa war das auch neulich hier. Nur nennt sich das Waldgebiet „Sierra de Ajusco-Chichinauhtzin„, wir fahren vom Bundesstaat Morelos „rüber“ nach Mexiko-Stadt, und die Autobahn trägt die Bezeichnung „Carretera Federal 95D“. Ansonsten ist alles gleich: dunkle Wand vor einem und bald darauf Wasser von oben in beträchtlicher Menge.
Unterwegs auf der Cuota
Das „D“ der Autobahn steht übrigens für das spanische Wort „directo“, also Direktverbindung, und meint hier in Mexiko eine mautpflichtige Strecke – im Gegensatz zur mautfreien Überlandstraße „Carretera Federal“, der eine D-Autobahn in der Regel parallel folgt, und von der sie die Nummerierung übernimmt.
Die Mexikaner machen es sich einfacher und sprechen einfach von der „Libre“ (Frei) oder „Cuota“ (Maut), wenn sie beide Straßen unterscheiden wollen. So steht es übrigens auch auf den Verkehrsschildern. Aber das nur zur Info.
Regenzeit von Mai bis Oktober
Das mit dem Regen jedenfalls ist eigentlich auch ganz einfach: Etwa ab Mai fängt es an, täglich in Strömen zu gießen, ungefähr fünf bis sechs Monate lang. Allerdings nur zum Nachmittag hin, und nicht die ganze Nacht hindurch. Am Morgen scheint dann wieder die Sonne, bis es nach 15/16 Uhr erneut anfängt zu prasseln. Ausnahmen bestätigen die Regel, manchmal regnet es auch tage- oder wochenlang nicht. Oder die halbe Nacht hindurch. Und nicht immer bleibt es beim abkühlenden Tropfen: Straßen werden überflutet, Schlammbäche an den Hängen der Stadt rasen herunter und die Kanalisation läuft voll. Das Ganze in Verbindung mit Blitz und Donner mutiert zu einem sehenswerten Spektakel am Himmel, sofern man trocken untersteht für die Dauer der Show.
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Diese „Regenzeit“ ist im deutlichen Unterschied zur nachfolgenden „Trockenzeit“ zu sehen: Ich war mal in der letztgenannten Phase auf der Ruine von Cuiculco, im Süden der Hauptstadt: Verdorrtes Gras, Hitze, ein Gefühl, wie in einem Hollywood-Western die Steppe durchqueren zu müssen. Man schaut nach oben und fleht den Azteken-Regengott Tlaloc an, doch endlich mal loszulegen.
Drei Monate später ist es soweit, es regnet, und der selbe Ort ist eine Augenfreude. Die Vegetation sprießt, der Ruinenhügel erstrahlt im satten Grün. Wahnsinn der Wechsel, erst recht in einer Betonwüste wie Mexiko-Stadt.
Die Ruinen von Cuiculo passieren wir auf dem Weg nach Hause. Da regnet es bereits ordentlich. Vier Kilometer vorher an der Mautstation, das Waldgebiet hinter uns, hat es eingesetzt. Die Scheibenwischer sind im Dauereinsatz. Vor uns sammelt sich Wasser an verschiedenen Stellen der Straßen, und die Fahrzeuge vor uns winden sich vorsichtshalber drumherum. Es könnte ja tief sein. Das Wasser spritzt an der Fahrerseite hoch.
Nochmals fünf Kilometer weiter scheint der Regen an Intensität zu verlieren. Die Straße vor uns, mit dem Namen „Arenal„, erinnert an einen Kanal, gesäumt zu beiden Seiten von Bäumen. Das Wasser glänzt im Schweinwerferlicht. Und ich denke an das alte Mexiko-Stadt: als die Metropole um das Jahr 1600 inmitten eines großen Sees auf 2500 Metern Höhe lag. Oder 200 Jahre später, der See ist schon teils zurückgedrängt, als Händler und Landwirte ihre Waren mit Lastkähnen auf den Kanälen in die Stadt schieben.
Das ist heute alles längst Geschichte, aber der Regen bleibt. Zumindest bis Oktober. Danach kehrt Ruhe ein.