Mexikanische Frauenrechtlerinnen haben heute, 9. März, zum landesweiten “Streik” aufgerufen: Frauen und Mädchen sollen nicht arbeiten, nicht zur Schule gehen, nicht einkaufen, nicht konsumieren – kurz: sich nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Sie wollen damit auf die getöteten Frauen aufmerksam machen, auf die erschreckend hohen Zahlen von Feminiziden – darauf, dass diese Ermordeten nicht mehr unter uns sind. Und der “Streik” scheint, wenn Mann sich durch die Straßen bewegt, auch tatsächlich befolgt zu werden.

Tagtäglich werden in Mexiko Frauen und Mädchen ermordet, nicht selten durch die Hand ihres Partners, Ex-Partners oder eines Familienangehörigen. Die Zahlen sind gruselig: Rund 3000 Morde waren es vergangenes Jahr, allein hier in Mexiko-Stadt gab es die vergangenen Monate mehrere aufsehenserregende Verbrechen: Da ist die erfolgreiche Geschäftsfrau, die von Killern hingerichtet wurde, die ihr Ex-Partner auf sie gehetzt haben soll (er befindet sich bis heute auf der Flucht). Da ist die “zweite Hinrichtung” einer Frau, die von ihrem Mann brutal ermordet wurde – und deren Leiche durch Fotos in Boulevardmedien zur allgemeinen Ergötzung verbreitet wurde. Und schließlich erschütterte erst jüngst die Entführung und Ermordung der kleinen Fátima die Menschen. Sie wurde Opfer eines mutmaßlichen Sexualverbrechers, dem das Kind durch seine Partnerin zugeführt worden war.

Auch in Deutschland gibt es Morde an Frauen: 2018 wurden nach Angaben der “Zeit” 122 Opfer eines “Ehedramas”, einer “Beziehungstat”. Schon das sind 122 zu viele, aber in Mexiko spitzt sich die Problematik noch durch überforderte oder desinteressierte Behörden zu, die in vielen Fällen Gewalt an Frauen nicht verhindern, aufklären oder gar an der Verurteilung der Täter arbeiten. Deswegen hatten schon am gestrigen 8. März, dem Tag der Frauen, mindestens 80.000 Demonstrantinnen im Zentrum der Stadt (und anderen Landesteilen) ein Zeichen der Solidarität gesetzt und gegen die Gewalt protestiert. Einen Tag zuvor erhoben bekannte Musikerinnen wie Mon Laferte auf dem Zócalo, den Hauptplatz im Zentrum, ihre Stimme, um gegen die Gewalt zu protestieren – und ihre nicht nur weiblichen Fans folgten ihnen mit dem lautstarken Ruf nach “Ni una más” – Keine Einzige (Ermordete) mehr. Und heute, 9. März, ist nun der Streik.

Viele Unternehmen, Schulen und Behörden hatten im Vorfeld Zustimmung signalisiert und es ihren Schülerinnen oder Angestelltinnen überlassen, ob sie zu Hause bleiben wollten – ohne Gehaltskürzung oder anderen Strafen. Und tatsächlich sehe ich morgens kaum Frauen auf den Straßen. Keine Schülerinnen auf dem Weg zu ihrer Schule. Stattdessen gibt es für die anwesenden Lehrer und Schüler Projektarbeiten zum Thema “Gewalt gegen Frauen”. In sozialen Medien und in der Presse laufen Berichte, dass in vielen Büros in Mexiko-Stadt und anderswo die Frauen nicht zur Arbeit erschienen sind. Die Metro, im Pendlerverkehr sonst geprägt von gesonderten Frauenabteilen, sieht die Frauen nicht. Eine Kinokette reduziert heute ihre Vorführungen, weil das weibliche Personal fehlt. In Redaktionen von Zeitungen sind die Redakteurinnen abwesend.

Dann sieht “man” sie doch: An der Tankstelle stehen weibliche Angestellte an den Zapfsäulen – bereit, die Autos zu betanken. Hinter den vielen Esssenständen an der Straße stehen auch heute deren Köchinnen, der informelle Sektor beschäftigt fast die Hälfte der Bevölkerung. In einer “Tiendita” am Wegesrand wartet die Besitzerin auf Kundschaft. Und an einer Laufstrecke sind wie sonst viele Sportlerinnen aktiv. Aber doch wirkt es, als ob der Aufruf befolgt werde. Denn die Straßen, sonst vollgestopft mit Menschen, wirken tatsächlich leerer als üblich.

Man kann diskutieren, ob so ein Streik wirklich was bewirkt, ob die Zustimmung von Firmen und Behörden nicht auch PR in eigener Sache ist. In einem Forum in sozialen Medien beispielsweise bezweifelte eine Geschäftsfrau, welchen Sinn die Aktion haben würde, wenn ihre “Empleadas”, ihre Angestelltinnen, statt zu arbeiten zu Hause andere Arbeiten erledigen würden. Den Tag für einen Ausflug nutzten. Oder einkaufen würden.

Aber dieser stille Protest dürfte zusammen mit dem Protest vom 8. März ein nachhaltiges Zeichen setzen, gegenüber gewaltbereiten Männern und dem hier ausgeprägten Machismo, dem Kult um die männliche Vormachtstellung. Selbst am gestrigen Protesttag wurden nach Angaben der Behörden in Mexiko elf Frauen ermordet. Eine Welt ohne Frauen? Was für eine armselige Welt wäre das doch.

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