Die Figuren sind klein – ihre Bedeutung für ihre gläubigen Besitzer riesig: Die Niños Dios in Xochimilco, die „Jesuskinder“, werden am kommenden 2. Februar (Maria Lichtmess) geehrt und dem Anlass entsprechend neu eingekleidet.
Müsste man den Blick dieser Puppen beschreiben, er ließe sich wohl treffend mit „gütig“ beschreiben. Gütig signalisiert Vertrauen, Barmherzigkeit, Verständnis. Und das ist der Fall bei allen sechs, etwa eine Armlänge großen Puppen, die mich an einem kleinen Verkaufsstand im Süden von Mexiko-Stadt „anschauen“: Niños Dios („Gotteskinder“).
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Gemeint ist damit in Mexiko die kindliche Darstellung von Jesus – hier festlich gekleidet, mit vollem Haar, die Wangen rot. „Manche Familien haben sechs bis sieben dieser niños“, erzählt Maricruz. Da war ein „Kind“ von der Großmutter geerbt, ein anderes hatte der Madrina, der Patin, gehört. „Es gibt viele“, die diese Figuren zu Hause hätten, sagt sie. Und sie einkleiden würden. Und die Kleider, die hat Maricruz im Angebot.
Die Verkäuferin steht – pandemiebedingt – auf der anderen Seite der Plastikwand, die sie an ihrem Verkaufsstand von den Passanten und mich trennt. Zum 2. Februar, Maria Lichtmess oder Día de la Candelaria, wie dieses Fest im spanischsprachigen Raum genannt wird, werden die Figuren neu eingekleidet. „Se llevan a la misa y los bendicen.“ Ihre gläubigen Besitzer bringen ihre Jesuskinder zur Kirche, wo sie gesegnet werden.
Eigentlich würde Maricruz jetzt auf der großen Plaza im Zentrum von Xochimilco stehen, einem Stadtteil im Südosten dieser Metropole. Doch die Verwaltung hat den Platz gesperrt – Maricruz hat ihren Verkaufsstand nun in ihrem Wohnviertel errichtet.
Vier Tage lang, bis zum Dienstag, steht sie derzeit von 10 bis 22 Uhr hinter dem Tresen. Sechs Figuren stehen auf dem Tisch, dahinter ist die Wand mit eingeschweißten Kleidern über und über bedeckt. Draußen klebt ein Schild: „Se visten Niños Dios aquí“. Hier werden die Gotteskinder eingekleidet.
Maricruz nennt die verschiedenen Namen der Figuren auf dem Tisch, einige sind in ihrem Besitz. An einer Seite sind auf einer Tafel zahlreiche Jesuskind-Variationen zu sehen. „Die Kleider entsprechen dem Niño Dios, der eingekleidet wird“, schreibt sie mir später auch Nachfrage. „El blanco es de niño de las palomitas. De niño de las azucenas. Es como su bautizo es cuando lo visten por primera vez.“ Die weiße Farbe entspreche dem „Taubenkind“ oder „Kind der Lilie“. Es sei wie bei der Taufe.
Als das Jesuskind Hungernden half
Im zweiten Jahr folge dann ein Kleiderwechsel, der Niño Dios wird dann zum „Kind der Trauben“, des Überflusses, des Lichts oder zum Jesuskind von Atocha – eine aus Spanien „importierte“ Version des Niño, der Gefangene mit Essen versorgt habe. Daher auch der Weizen in seiner Hand.
Tamales am 2. Februar: Am Dreikönigstag 6. Januar, dem Geschenketag der spanischsprachigen Ländern, brechen die Familien in Mexiko die „Rosca de Reyes“. Der „Königskranz“ aus Weizenmehl und Früchten (Rezept hier) ist was Besonderes, denn in ihm ist eine (oder mehrere) Jesusfigur versteckt. Wer sie entdeckt, muss zum gemeinsamen Tamales-Verzehr einladen – am 2. Februar. Das ist eine in Bananenblätter gehüllte Maispaste mit allerlei Zutaten. Sehr lecker übrigens und sättigend, und natürlich gibt es Tamales eigentlich an jedem Morgen am Straßenstand. Der Entdecker ist also sozusagen der „Pate“ oder „Patin“ des Jesuskindes.
In Xochimilco habe sie an diesen Tagen bis zu zehn dieser Kleider verkauft, erzählt Maricruz. Dieses Jahr ist Ausnahmesituation, auch Maricruz trägt eine Mundmaske. Aber die Nachfrage ist da, immer wieder mache ich Platz, weil Passanten stehenbleiben und Maricruz ansprechen. Eine Frau fragt nach dem Preis. „Bringen Sie ihren Niño vorbei“, bittet die Verkäuferin, dann könne man die Kosten ermitteln. Wenig später steht eine weitere Passantin am Stand. Was Zubehör für Sankt Judas Thaddäus (der auch in Mexiko hoch verehrt wird) kosten würde. Geduldig beantwortet die Verkäuferin die Fragen.
Noch bis Dienstag wird Maricruz ihre Kleider zum Verkauf anbieten. Im nächsten Jahr dann – wer weiß – wird sie dann wieder im Zentrum Xochimilcos auf ihre Kundschaft warten. An den Tagen rund am Día de la Candelaria – an Maria Lichtmess oder Darstellung des Herrn, wie der 2. Februar ja eigentlich zu bezeichnen ist.
Extra: Der Niñopa von Xochimilco
Es gibt eine besonders hochverehrte Jesuskindfigur in Xochimilco, der so genannte „Niñopa“ („Kind des Dorfes oder Volk“). Jedes Jahr wird die über 400 Jahre alte Holzfigur (Foto auf Flickr) von einer Familie aus einem der 17 traditionellen Viertel des Stadtteils behütet. Das kostet viel Geld, denn der „Mayordomo“, der registrierte Pate, muss Feiern organisieren und Schmuck und Ausstattung der Figur beherbergen.
Übergabefest Niñopa im Jahr 2003 Übergabefest Niñopa im Jahr 2003 Übergabefest Niñopa im Jahr 2003 Übergabefest Niñopa im Jahr 2003
Weil die Wartezeit so lang ist, registriert die interessierte Familie auch Söhne und Enkel als zukünftige „Mayordomos“ (Hausmeister). Ist es soweit, wird am jeweiligen 2. Februar der Niñopa in die Obhut der neue Patenfamilie übergeben, begleitet von einer Messe, traditionellen Tänzern und tausenden Zuschauern.
Das Wohnhaus der Paten wird dann ein Jahr lang zum Zentrum der Gläubigen, die den Niñopa um Hilfe oder Unterstützung erbeten.
2021 sind die öffentlichen Feierlichkeiten aber abgesagt worden, es wird pandemiebedingt nur eine kleine interne Übergabezeremonie mit Beteiligung der bisherigen und neuen Herbergsfamilie geben. Update Mittwoch, 3. Februar: Tatsächlich ist es Berichten in sozialen Medien zufolge sogar zu keiner Übergabe gekommen. Offenbar gibt es Streitigkeiten zwischen bisherigen und zukünftigen Mayordomos, teilweise auch handgreifliche. Die Diskussion hierzu lässt sich beispielsweise auf der Seite einer der Parteien verfolgen.
Mehr Infos und Videos zum Niñopa findet ihr auf der offiziellen Facebook-Seite des Jesuskindes.