Mexiko-Stadt wirkt aus deutscher Sicht, charmant ausgedrückt, „verspielt“. Ein Beispiel sind die vielen Strom- und Telefonkabel über einem. Ab und an fallen diese aber aus – beziehungsweise herunter.
Dieses Mikado über einem, das ist etwas, was schon am ersten Tag in Mexiko-Stadt auffällt: kreuz und quer, an den Wänden entlang, über dem Bürgersteig schaukelnd, und das manchmal gefährlich tief, hängen Strom- und Telefonleitungen an und über allen Häusern. Ach ja, ab und an hängt ein loses Ende runter, so bis Augenhöhe. Eine penibel angebrachte und gesicherte Führung von Strom- und Telefonleitungen über und an den Dächern sieht man vielleicht in Deutschland (oder auch nicht, wenn sie unterirdisch verlegt sind) – aber definitiv nicht hier in Mexiko.
Und ich als Nicht-Techniker steh davor und frag mich: Das funktioniert? Und ist das nicht gefährlich? Vielleicht. Wenn ich lose Kabelenden herabbaumeln sehe, weiche ich ihnen aus. Vorsichtshalber. Das Chaos über einem hat einen simplen Grund: In Mexiko-Stadt werden wie in den USA neben Stromkabeln auch Kommunikationsverbindungen überirdisch verlegt – auf sagen wir mal „kreative“ Art. Siehe Foto. Aber es funktioniert.
Als wir für unsere Wohnung einen Internetanschluss bestellten, rückte schon wenige Stunden nach Auftragserteilung (per Telefon) ein Techniker der beauftragten Telefongesellschaft an. Schon das wäre in Deutschland wohl ein Traum.
Er sah das Ganze als wenige Minuten dauernde Angelegenheit an und legte los: Der Mann entdeckte an der Bürozimmerwand einen vorherigen Anschluss, verlegte von dessen Ende an der Außenwand ein etliche meterlanges Glasfaserkabel (spanisch: fibra óptica) durch einen unterirdischen Versorgungsschacht in unserer Anlage bis zum Tor, zog es dann nach diversen Schwierigkeiten hoch zu einem Durchgang in der Tormauer (und durch) und verband es dann draußen an einem Strommast an ein anderes Kabel, welches dort hing. Fertig. Der Internetanschluss funktioniert seitdem problemlos.
Ein Kabel quer über der Straße
Und so ist das gefühlt im ganzen Land. Dass solche Masten mitunter wie ein Bienenkorb wirken, ob der Vielzahl an dort hängenden Kabeln? Kein Problem. Aber ich habe es schon mindestens drei Mal erlebt, dass Strom- oder Telefonkabel gefährlich tief hingen (nicht abgefallen) – und einmal im letzten Moment gesehen, als ich unterwegs mit dem Fahrrad plötzlich ein Kabel quer über der Straße hängend erblickte, auf Höhe meines Halses …
Zurück zum Strommast: Zu genau diesem mussten neulich Techniker der staatlichen Stromgesellschaft anrücken, am frühen Morgen: Wir wachten ohne die Errungenschaften der modernen Zivilisation auf. Ein „fusible“, eine Sicherung, sei kaputt gegangen, sagte mir einer der Techniker, während sein Kollege oben mit einem Stock hantierte und ich geduldig auf einen baldigen Kaffee, Licht, Internet und gekühlte Lebensmittel hoffte. Kurze Zeit darauf floss der Strom wieder. Ob ich nicht das Explosionsgeräusch in der Nacht gehört hätte, fragt mich später der Wachmann. Das wäre da am Mast gewesen.
Tatsächlich fällt der Strom öfters aus, zum Beispiel bei Unwettern – in der Regenzeit von Mai bis Oktober achte ich immer darauf, empfindliche Geräte wie laufende Festplatten vorsorglich abzuschalten, wenn es draußen wieder mal blitzt und donnert. Denn garantiert fällt im Laufe des Regens dann der Strom aus.
Manchmal gibt auch ohne erkennbaren Grund keinen elektrischen Saft. Dann heißt es hier geduldig abzuwarten, bis er wenige Minuten später wieder fließt. Vor einigen Monaten war zum Beispiel ein defekter Trafo an einem anderen Mast an der Straße schuld an einer Unterbrechung. Unsere längste Pause (ein ganzer Tag) hatten wir aber mit einer an sich profanen Geschichte: Techniker der Stromgesellschaft erneuerten in den Häusern unseres Viertels die Stromzähler. Als unsere Anlage dran war, dauerte das Stunden und klappte nicht so schnell wie die Verlegung eines Kabels …
Warum oberirdisch? Es dürfte halt billiger sein, die Kabel so zu verlegen und bei Bedarf zu reparieren. Tatsächlich ist der Strompreis in Mexiko im Vergleich zu Deutschland fast schon lächerlich gering – wobei das in Relation zu sehen ist in einem Land, in dem Polizisten nicht mal 1000 Dollar verdienen. Eine Kilowattstunde kostet Privathaushalte hier durchschnittlich umgerechnet 0,06 Dollar, so Zahlen des Energievergleichsportal GlobalPetrolPrices.com. Den gleichen Zahlen zufolge beträgt der Preis in Deutschland 0,32 Dollar.
In Mexiko-Stadt kommt aber noch eine weitere potenzielle Störquelle (und gefährliche) hinzu, und das in Gestalt des illegal abgezapften Strom. Die Regierung hat diesen manipulierten Anschlüssen, die als „Diablitos“ bekannt sind, den Kampf angesagt, sie droht Strompiraten mit Gefängnis. Die Realität sieht so aus: An einer Ecke in der Nähe steht derzeit ein Stand mit Weihnachtsschmuck und -kitsch, der am Abend bunt leuchtet und blinkt. Verlängerungskabel sind kreuz und quer aneinanderhängend verteilt. Und irgendwo versteckt dürfte eines der Kabel an einem Transformator über ihn hängen …
(Webtipp: Warum die Diablitos alles andere als sicher sind)
Noch dreister aber war mal ein Nachbar, vor Jahren während meines ersten Aufenthalts in Mexiko-Stadt: Als ich mich damals auf seinen Wunsch nicht einging, ihm per Verlängerungskabel an unser Stromnetz anzuschließen (er hatte keinen Vertrag mehr mit der Stromgesellschaft), nutzte er eine Abwesenheit, um sich selbst an unseren Stromzähler anzuschließen – und uns abzuknipsen.
mc/voyyestoy.com