Mauern sind in Mexiko-Stadt völlig normal. Im Bezirk Xochimilco sollte ein solcher “Muro” aber zwei Wohngebiete komplett voneinander trennen. Übrig blieb ein Teilstück.

Jedes Mal, wenn ich mit dem Rad zu meiner Lieblingslaufstrecke an der einstigen olympischen Ruderstrecke unterwegs bin, fahr ich an ihr vorbei: Unscheinbar und flach, etwa 40 Meter lang und 1,20 Meter hoch, erinnert der “Muro”, die Mauer, Medienberichten zufolge an ein umstrittenes Projekt vor neun Jahren. Ziel: Das in den neunziger Jahren planmäßig angelegte Wohngebiet “Barrio 18” von den ärmlicheren (und irregulären) Ansiedlungen an seinem südlichen Rand trennen. Das zumindest war der Plan.

Das Mauerstück im Barrio 18 in Xochimilco erstreckt sich auf 40 Metern Länge.
Das Mauerstück im Barrio 18 in Xochimilco

Doch daraus wurde nichts, wie man es in einem damaligen Bericht der Tageszeitung La Jornada und einer späteren Aufarbeitung durch den lokalen Nachrichtenblog Informativo Anáhuac im Detail nachlesen kann. Demnach hätten die vor allem direkt am Rand ansässigen Anwohner des Barrio 18 über eine Zunahme an Einbrüchen und Überfällen gelitten, die aus den Nachbargebieten geführt wurden.

Blick auf das Nachbarterritorium des Barrio 18 - ohne die geplante Mauer
Blick auf das Nachbarterritorium des Barrio 18 – ohne die geplante Mauer
Das Barrio 18 entstand in den neunziger Jahren.

Also beschlossen sie demnach dank eines eigenen Stadtteilbudgets (die “18” folgt den bis dato 17 traditionellen Stadtvierteln von Xochimilco), eine Mauer zum eigenen Schutz zu errichten – entlang der gesamten Südostgrenze des Barrio und oben drauf versehen mit einem Maschendrahtzaun.

Proteste auf beiden Seiten beendeten rasch das Projekt dieser “Berliner Mauer” in Mexiko-Stadt, lediglich das 40 Meter lange Erststück blieb bestehen – bis heute. Und so steht die Mauer als Relikt des Projekts in der freien Umgebung, ohne jeglichen Hinweis. Hinter der Mauer wachen drei Zypressen, dahinter wuchert Gras. Wüsste man es nicht, die Mauer würde unsichtbar sein.

Tatsächlich sind beide Seiten bis heute unterschiedlich, wie ich bei jeder Fahrt feststelle. Während das Barrio 18 linksseitig von der Straße ein hier typisches Wohnviertel darstellt, sieht man zur rechten Hand Gras, Gestrüpp, Wassergräben und dahinter einfachere Behausungen. Neulich stand dort sogar ein Pferd, es futterte seelenruhig im Grünstreifen.

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Gebaut auf dem Gebiet der Chinampas

Auch das ist in dieser Großstadt nicht verwunderlich: Sowohl der rund 50 Hektar große Barrio 18 als auch das Nachbargebiet sind in das landwirtschaftliche Territorium der Chinampas hineingebaut worden. Chinampas waren zur Zeit der Azteken künstlich angelegte Anbauflächen im einstigen See des Tals von Mexiko (heute ausgetrocknet). Dabei reden wir von einem sehr großen Gebiet, selbst heute existieren hinter dem Barrio 18 noch ausgedehnte landwirtschaftliche Flächen und die Kanäle von Xochimilco, auf denen Familien und Partygruppen vor allem am Wochenende unterwegs sind.

Allerdings hat die urbane Entwicklung nicht Halt gemacht, und so ist das Gebiet rund um den Barrio 18 mittlerweile Teil des städtischen Raums. Das Barrio selbst liegt an einer Straße, die vom Zentrum Xochimilcos zur städtischen Ringautobahn, dem Periférico führt. Eine neue Schnellbus-Trasse wird derzeit dort gebaut, Massen an Autos schieben sich hier tagtäglich am Barrio vorbei.

Und die Mauer? 2011, berichtete damals die Jornada, sollte das steinerne Monument abgerissen werden. Aber das ist offensichtlich nie erfolgt. Wahrscheinlich dient sie heute Echsen und Skorpionen als Rückzugsgebiet. Vielleicht nutzen Anwohner sie als Sitzgelegenheit. Wie auch immer: Der “Muro” ist auch ein Beispiel dafür, dass in Mexiko-Stadt trennende Mauern zum Alltag gehören. Sie versperren zusammen mit Toren immer wieder den Zugang zu reservierten Wohngebieten (mehr dazu in diesem Beitrag), sie ziehen sich sogar um Parks und Wälder herum – je nachdem aus Gründen der Sicherheit oder um ein Vordringen menschlicher Siedlungen zu verhindern. Die Mauer im Barrio 18 aber trennt nicht.

Muro en el Barrio 18 en Xochimilco
Der “Muro” im Barrio 18 in Xochimilco

Muro de Berlin: Teile der “Mauer” auch in Mexiko-Stadt

Die echte Mauer, die Berlin von 1961 bis 1989 in zwei Hälften schnitt, ist übrigens auch in Mexiko-Stadt vertreten. Zum einen stehen zwei Mauerstücke auf den Campus der Deutschen Schule, Colegio Alemán Alexander von Humboldt, an den Standorten Sur (Xochimilco) und Norte (Lomas Verdes). Und neuerdings lässt sich eine weitere Mauerplatte im Museo Memoria y Tolerancia im Zentrum der Stadt betrachten. Im April 2018 wurde sie der Öffentlichkeit vorgestellt.


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