In dieser Metropole bewegt man sich (leider) vor allem mit dem Auto oder Kleinbus. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten – so wie mit einer kleinen Fähre in Xochimilco, einem Stadtteil von Mexiko-Stadt.
Wer sich mal ein Luftbild dieser Ciudad de México anschaut, wird vor allem im Südosten dieser Riesenstadt mehrere grüne Flecken entdecken. Hier, in den Stadtteilen Xochimilco und Tláhuac, halten sich bis heute Reste des einstmals riesigen Seensystems, der das Tal von Mexiko ausfüllte – und heute unter dem Beton und Asphalt von Mexiko-Stadt verborgen oder verloren ist (Mehr dazu mal hier im Blog).
Was vom See übrig blieb
Die Kanäle von Xochimilco, der Lago de Chalco und die dazwischen liegende Cienaga de San Gregorio im landwirtschaftlichen Gebiet von San Gregorio, in der auch die Totenblume Cempasúchil angeboten wird, sind das Überbleibsel. Sie bilden sozusagen Barrieren, die dem Verkehr und den ausufernden Wohngebieten mehr oder weniger Einhalt gebieten.
Eine solche Barriere findet sich an der olympischen Ruderstrecke, der Pista de Canotaje: Wer nämlich vom alten Zentrum von Xochimilco dorthin will (oder umgekehrt), muss mit dem Auto einen längeren Umweg fahren – oder nimmt zu Fuß oder mit dem Rad einfach den direkten Weg über einen der Kanäle des einstigen Dorfes. Das geht nur mit einer Fähre. Und vor der steh ich nun.
Wie man dahin kommt oder von dort weg? Zu Fuß oder mit dem Fahrrad, entweder an der Ruderstrecke entlang oder in anderer Richtung quer durch das Barrio Tlacoapa. Die „Barrios“ sind traditionelle Viertel von Xochimilco, dessen Name in der Náhautl-Sprache „Ort der Blumen“ bedeutet. Tlacoapa beispielsweise entstand auf dem Areal eines einstigen Hospitals, welches hier nach der spanischen Eroberung errichtet worden war.
Wer zur Fähre will (oder von ihr kommt), sollte sich aber nicht abschrecken lassen: Sie findet sich in Tlacoapa am Ende eines recht engen und für Auswärtige nicht gerade einladenden Durchstichs im Barrio.
Auch die andere Seite hat schon bessere Zeiten gesehen: Links von der Anlegestelle rosten Geräte eines Spielplatzes vor sich her, Begrenzungssteine sind verwittert. Am Ufer der hinter mir liegenden Pista de Canotaje müffelt es etwas. Aber hey, die Anlage ist ja auch von 1968, als Mexiko-Stadt seine Olympischen Sommerspiele abhielt – und die Gegend hier damals noch mitten im Ländlichen lag.
Muskelkraft statt Motor
Die Fähre selber besteht eigentlich aus zwei Lastkähnen, die von ihren jeweiligen Führern an einem Seil ziehend hin und her über den Kanal gezogen werden.
Das funktioniert dann so: Vorne stehen die Bootsführer und warten, bis sich die Plattform füllt. Acht Leute passen locker auf das Boot. Dann zieht er mit seinen Händen am Seil – fest mit den Füßen auf die Bootsplanken drückend – sich selbst rüber, geht dann die Geschwindigkeit nutzend mit der Hand am Seil haltend an das andere Ende des Bootes, um es langsam zum Ufer gleiten zu lassen.
Sieht kinder- und federleicht aus, dürfte aber mit Boot und acht Passagieren (und Rädern oder Karren) ein ordentliches Gewicht darstellen. Vielleicht sollte ich das auch mal ausprobieren, statt nur laufen.
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Münze statt Geldschein
Meine Fähre kommt an, besser gesagt beide gleichzeitig. Ich betrete den rechts angedockten Kahn, gefolgt von mehreren Fahrradfahrern, und reiche meinem Bootsführer eine Fünf-Pesos-Münze – umgerechnet 20 Cent. Als der Mann mir Wechselgeld geben will, bedanke ich mich und lehne ab. Tatsächlich kostet der Mini-Übergang lediglich zwei Pesos – umgerechnet acht Cent.
Das mag nach sehr wenig klingen, ist aber in einem Land, in dem Polizisten einem Medienbericht zufolge umgerechnet 530 Euro netto im Monat verdienen und das Kilo Maistortilla – einem Hauptnahrungsprodukt – 15 Pesos im Durchschnitt kostet, mehr wert als in Europa. Tipp für Touristen: Man sollte in Mexiko-Stadt gerade bei Bezahlvorgängen an der Straße das nötige Kleingeld dabei haben. Einen 200-Pesos-Schein (8 Euro) oder gar 500 Pesos (20 Euro) können viele Händler gar nicht wechseln (mehr zum Geld und seinem Wert in meinem Beitrag zu einem Lego-Spielzeug-Raumschiff), ganz zu schweigen vom raren 1000-Pesos-Schein (doch, den gibt es wirklich).
Abkürzung zum Periférico
Theoretisch könnte man einfach den Kanal durchwaten – es sind vielleicht nur 30 Meter, die beide Ufer trennen. Der Kanal reiche nur bis zur Hüfte, sagt mein Bootsführer, dabei legt er eine Hand an seine. „Aber eigentlich steht das Wasser höher, bis zu den Stufen dahinter“, sagt er und zeigt zum Ufer.
Wir haben Trockenzeit, vielleicht deswegen. Die Kanäle von Xochimilco und überhaupt das gesamte Tal von Mexiko-Stadt leiden aber schon seit Jahren unter einem sinkenden Grundwasserspiegel. Die Stadt ist schlichtweg zu groß geworden und versinkt langsam, das sieht man zum Beispiel an Gebäuden im historischen Zentrum (auch dazu bald was hier im Blog).
Allein ist man auf der Fähre eigentlich nie: Die Abkürzung wird von vielen Menschen genutzt, die zum Beispiel an der Pista laufen oder an ihr vorbei zu den anliegenden Vierteln oder zur Stadtautobahn, dem Periférico, wollen, um dort einen Bus für die weitere Fahrt zu nehmen. Beziehungsweise von dort kommen.
Dabei ist es noch nicht mal eine Minute an diesem Morgen, die die Fahrt mit der Fähre dauert. Aber sie erlaubt diesen Moment der Entspannung, beim Blick über den Kanal in die Ferne. Es ist ruhig, das Wasser still. Dann sind wir auch schon drüben. Ich steige auf die kleine zerbröckelnde Rampe und blicke zurück, die Kähne füllen sich schon wieder. Mein Bootsführer sammelt die Pesos-Münzen, gleich zieht er sich wieder herüber.
Beim nächsten Mal, nehme ich mir vor, fahre ich nicht mal eben rüber – sondern durch ihn, hinein in das Labyrinth der Canales de Xochimilco. Aber das ist eine andere Geschichte.
Miguel Castro/voyyestoy.com
(Beitrag ergänzt und angepasst 24. November 2020)
Hallo Miguel,
ich habe nun zum ersten Mal einen Eintrag in deinem Blog gelesen und finde, dass du deine Erlebnisse sehr schön dargestellt hast. Ich hatte sehr viel Spaß auf meiner gedanklichen Reise durch Xochimilco mit dir als „guía“.
Viele Grüße,
Julian
Hi Julian, vielen Dank!