El Principe lebt – in der Erinnerung seiner Fans. Am ersten Jahrestag des Todes von José José versammelten sich seine Anhänger in seinem Geburtsviertel – der ideale Ort, um mehr über den Weltstar zu erfahren.
Es wird gesungen. Das ist das Erste, was auffällt – beziehungsweise was man am Parque de la China in Clavería, hört, einem Barrio (Viertel) nordwestlich des Zentrums. Clavería ist ein ruhiges Viertel, die Hauptstraße säumen kleine Läden, im Park üben Sportler an Fitnessgeräten. Aber seine zur Ortsmitte hin gelegene linke Seite ist an diesem 28. September 2020 für José José reserviert.
Karaoke vor dem Denkmal
Ein singender Mann steht vor der Statue von José José. Mit einem Mikro in der Hand macht er zu einem der vielen Songs von José José Karaoke, flankiert von weiteren Männern. Die Zuschauer lauschen andächtig, manche haben ein Bild des Sängers in der Hand. Sie klatschen, als der Karaokesänger abschließt.
Immer wieder ertönen in der nächsten Stunde, in der ich vor Ort bin, weitere Gesangseinlagen. Ein Fernsehteam positioniert sich, der Reporter wird vor den Sängern später einen Text einsprechen. Blumen und Kränze schmücken die Stele, auf der die Figur des Sängers thront, dahinter steht an der Wand sein Name: José José.
Wenn man diesen Namen in Mexiko im Gespräch fallen lässt, dürften vor allem ältere Generationen verzückt reagieren: José José, das ist DER Sänger, der mit seiner beeindruckenden Stimme Balladen vortrug. Der als junger Musiker mit einem Live-Auftritt im Fernsehen schlagartig berühmt wurde (mit dem Lied „El triste“, der Traurige. Bis zum Ende hören, es lohnt sich). Der zig-Millionen Platten in Lateinamerika, den USA und selbst in Russland und Japan verkaufte. Der anderen Musikern im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere zum Vorbild wurde.
Ein Star mit Alkoholproblemen
José José, mit bürgerlichem Namen José Rómulo Sosa Ortiz, war aber auch der Star, der sich mit Alkohol vollpumpte und dessen Stimme im Laufe der Zeit versagte. Schon sein Vater José Sosa Esquivel, Opernsänger von Beruf, war Alkoholiker. Der Sohn nahm in Erinnerung an seinen Vater dessen Vornamen in seinen Künstlernamen auf.
Auch mit seinem Privatleben sorgte José José für Schlagzeilen: Erfolg 1970 mit 22 Jahren, kurz darauf verheiratet mit Kiki Herrera, einer 20 Jahre älteren „Celebrity“ aus der mexikanischen Oberschicht. Danach war er jahrelang mit der Schauspielerin Anel liiert, ehe 1991 die nächste Trennung erfolgte und Ehe Nummer drei anstand. Am Ende lebte der „Principe de la canción“ (der Prinz des Liedes), so eine gängige Bezeichnung in Anlehnung an einen seiner Hits, krebskrank in Florida. Dort verstarb er am 28. September 2019 im Alter von 71 Jahren. Seinen Aufstieg hat der Streaming-Gigant Netflix in einer Serie aufbereitet.
Der Traurige und das Schiff des Vergessens
Aber den Fans, die sich an diesem Montagmittag am Park versammelt haben, dürfte das egal sein. Sie wollen ihn feiern, ihren José José, und seine Lieder. 1970 wird er mit „La nave del olvido“ (das Schiff des Vergessens) in Mexiko bekannt, im gleichen Jahr folgt „El triste“. In den achtziger Jahren stürmt sein Album „Secretos“ (Geheimnisse) die Charts. Anfang der 90er-Jahre veröffentlicht er sein 27. Album, mit dem Titel „40 y 20“. Das gleichnamige Stück erinnert an den Altersunterschied seiner Ehe mit Kiki Herrera.
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„Das ist 40 y 20“, sagt auch Emma im Parque de la China, als ich sie nach ihrem Lieblingslied von José José frage, während vor der Statue eine andere Gruppe auftritt. Emma ist Händlerin und verkauft Schallplatten und CDs von José José. Sie hält davon einige in der Hand. Die Nachfrage sei hoch, sagt sie.
Kurz darauf steht ein junger Mann vor ihr und erwirbt eine der Platten. Andere lauschen der Musik von José José am Handy oder PC: Im Streamingdienst „Spotify“ zählt allein „El triste“ über 94 Millionen Abrufe.
Das Vermächtnis des Sängers
Woher kommt diese Beliebtheit, was macht die Figur „José José“ aus? „Su voz“, seine Stimme, antwortet Luis Gallardo prompt. Der junge Mann ist Radiomoderator und trägt ein T-Shirt, auf dem der Name des Musikers aufgedruckt ist. Er kenne die Familie des Sängers. Luis besitzt eine Sammlung von Schallplatten des Principe und stammt so wie er aus Clavería. „Mi labor como oriundo es mantener vivo su legado“, erklärt er. Seine Aufgabe als Einheimischer sei es, das Vermächtnis des Sängers in Erinnerung zu behalten – für nachfolgende Generationen, wie er weiter ausführt.
„So wie ihn wird es keinen mehr geben“, sagt Margarita. Die 69-Jährige hält eine Zeichnung ihres Idols in der Hand, sie steht schweigsam am Rand der singenden Männer – Mitglieder eines Gesangsverein zu Ehren von José Josés Musik. Der Star sei Trauzeuge ihrer Heirat gewesen, ihr späterer Mann habe ihn gekannt. Auf einer Grillparty habe sie José José damals kennengelernt. „Era muy atento a la gente“, er war freundlich zu den Leuten, erinnert sie sich. Wie ein Bruder sei er für sie gewesen, erinnert sich Margarita.
Eine andere Frau hält ein Foto von ihr in der Hand, auf dem sie mit José José Arm in Arm zu sehen ist. „Ich war etwa acht Jahre alt, als ich ihn zum ersten Mal sah“, erzählt sie. Er habe Serenatas im Park gesungen – Ständchen, wie sie für verliebte Paare hier üblich sind. Für sie sei José José der beste Interpret von romantischer Musik, „nos tocó en el corazón“, er habe sie alle im Herzen berührt. Seine Musik sei außergewöhnlich schön.
Dann entschuldigt sie sich, weil eine frühere Managerin von José José aufgetaucht sei. Die ist von Reportern und Fans umringt, auch meine Gesprächspartnerin zieht es zum Pulk. Abstandsregeln in Zeiten der Pandemie sind offenbar nicht allen bekannt, und nicht alle tragen Masken.
Mit José Josés Leichenwagen durch die Stadt
Rechts von der kleinen Feier steht ein pompöser Leichenwagen. Mit diesem war José Josés Leichnam vor einem Jahr quer durch die Stadt zum Palast der schönen Künste überführt worden. Fans säumten damals die Straßen und nahmen im Palacio Abschied von ihrem Star (Video vom Event zum Beispiel hier zu finden).
Für seine Anhänger hat das Bestattungsunternehmen ein besonderes Angebot: Für rund 40.000 Pesos (umgerechnet etwa 1500 Euro) könne man sich das Gefährt für die eigene Beerdigung mieten, inklusive Rundfahrt, Video und den üblichen Bestattungsleistungen wie Sarg, Beisetzung und behördlicher Papierkram. „Nachfrage? Ja, die ist hoch“, erzählt die Vertreterin des Unternehmens, und drückt mir ein Prospekt der Firma in die Hand. „Ich brauch das nicht“, sage ich, aber sie lächelt.
„Warte noch ein bisschen“: Der Imitator und der Star
Und ob ich ein Foto von mir vor dem Oldtimer haben wolle, neben dem Bild von José José? Das mache ich lieber selbst von seinem Double: José Alejandro Ordoñez sieht wie sein Vorbild aus, und singen kann er auch wie er. Der professionelle „Imitador“ (spanisch für Cover-Sänger) posiert mit Fans für ein Erinnerungsbild.
Warum er die Hits von José José singe, will ich wissen. „Schon mit jungen Jahren hat mich seine Musik interessiert“, erzählt José Alejandro. Leute hätten mit der Zeit seine physische Ähnlichkeit zum Star bemerkt, heute singe er.
Als ich ihn frage, welches Lied sein Favorit sei, läuft zufällig im Hintergrund der erste Hit von José José, „Nave del olvido„. Und José Alejandro legt sofort los: „Espera un poco, un poquito más, para llevarte mi felicidad.“ Warte noch ein bisschen, ein bisschen mehr, um dir meine Freude zu überbringen. José José sei für Mexiko ein König. „Er ist der beste Interpret der besten Musik. Wir lieben ihn“, sagt José Alejandro.
„Aún la nave del olvido no ha partido“, heißt es am Anfang dieses Liedes. Das Schiff des Vergessens, es habe noch nicht abgelegt. Für José José und die Erinnerung an ihn dürfte diese Aussage noch lange gelten.
—— Miguel Castro/voyyestoy.com
„Wir lieben ihn.“
José-José-Double José Alejandro Ordoñez über den verstorbenen Star.