Nehmen wir an, du willst in Köln-Ehrenfeld den Helmholtzplatz aufsuchen. Aber bist du kein Anwohner des Platzes, kommst du nicht dahin. Absurd? In Mexiko-Stadt ist sowas Realität.

Der Park, der auf dem Foto zu sehen ist, ist der Mittelpunkt einer ruhigen Colonia im Süden von Mexiko-Stadt. Eine Colonia ist ein Stadtviertel unterschiedlicher Größe, wobei eine Colonia ein historisch gewachsenes Viertel oder ein planmäßig angelegtes sein kann – zum Beispiel durch die Aufteilung landwirtschaftlicher Parzellen zwecks Urbanisierung (Eine Übersicht aller Colonias von Mexiko-Stadt gibt es auf dieser älteren Website, allerdings ohne weitere Beschreibungen).

Gitter und Tore

Der Park ist ein schöner Ort der Ruhe, mit vielen Bäumen. Für die Anwohner. Denn die Zufahrten zu dieser Colonia sind durch Gitter und Tore gesperrt. Wer hier wohnt, hat ein „Gafete“ an seinem Auto kleben, einen Anwohnerausweis an der Windschutzscheibe. Wer zu Besuch ist, muss den Grund nennen. Fuß- und Radfahrer dürfen zwar in dieser Colonia ungefragt durch das Metalltor hindurch, so wie ich. Eine Gewähr gibt es dafür aber nicht immer.

Drinnen rolle ich durch die stillen Straßen, am Park vorbei. Straße rechts, links, links, rechts, dann bin ich auf der anderen Seite der Colonia. Eine Schranke und ein Wachmann blockieren die Ausfahrt. Mehrere Fahrzeuge rollen heraus, der Wachmann hält die Schranke hoch. Ich fahre durch. Hinter mir senkt sich die Schranke.

Es gibt ganze Straßenzüge in Mexiko-Stadt (und anderen Orten des Landes), die wie diese Colonia mehr oder weniger dicht sind: Straßensperren an den Eingängen zum betreffenden Viertel haben die Form von eben diesen Schranken oder gelb oder weiß angemalten, bis zu drei Metern hohen Gittern. Metalltüren oder -tore im Gitter gewähren Einlass für Berechtigte. Manchmal versperren auch Stein- oder Zementblöcke die Einfahrt, die nur von der anderen Seite des Straßenzugs möglich ist. Sackgasse auf mexikanisch.

Nicht selten stehen an diesen Eingängen privat beschäftigte Wachleute, die nach dem Grund des Besuchs fragen und mitunter die Abgabe eines Ausweises einfordern. Oder sie rufen bei dem zu besuchenden Anwohner an und fragen, ob der Besuch erwünscht sei. In wenigen Fällen wollten besagte Wachleute bei der Ausfahrt sogar einen Blick in den Kofferraum werfen – auch das habe ich schon erlebt. Könnt ja sein, dass ich was mitnehm, was nicht erlaubt ist. Oder jemanden.

Das hat zwei Gründe: Zum einen existieren planmäßig angelegte Wohnviertel, die von einem einzelnen Straßenzug mit zwölf Häusern bis zu mehreren Wegen mit etlichen Wohneinheiten reichen. Solche „condominios“ sind Privatbesitz, die hier ansässigen Immobilienbesitzer leisten eine Abgabe, um die gemeinschaftlichen Anlagen pflegen (und schützen) zu können.

Um ein solches Gelände führt meistens eine Mauer herum – als Bollwerk gegen unerwünschte Besucher wie zum Beispiel Einbrecher. „Gated community“ sagt man dazu auf Englisch, und in Städten wie Mexiko-Stadt mit hoher Kriminalitätsrate und dichtem Verkehr wissen Familien das beispielsweise sehr zu schätzen – sofern sie sich die Miet- oder Kaufpreise des Condominio leisten können.

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Im Südwesten der Stadt gibt es beispielsweise die Colonia „Jardines en la montaña“ (deutsch: Gärten am Berg), ein Areal etwa so groß wie das Wohngebiet auf dem Trierer Petrisberg – nur halt mit zwei abgesicherten Einfahrten (Wo ist die Colonia zu finden? Link zu Google Maps). Wir waren mal dort auf einer Feier eingeladen.

Ein abgesperrtes Viertel so groß wie de Petrisberg

Draußen tobt der Verkehr der Stadtautobahn, hinter dem Viertel erhebt sich der Wald von Tlalpan, ein Naherholungsgebiet (übrigens auch umzäunt). Drinnen, in der Colonia oder Fraccionamiento (deutsch: „Teil“), sieht es aus wie in jeder europäischen Mittelschichtsresidenz: Straßen ziehen sich am Berghang entlang, Einfamilienhäuser wechseln sich ab, davor parken Autos am Wegesrand, mittendrin ein Hochhaus – übrigens auch mit einem Pförtner, der dich ohne Grund nicht hineinlässt. Ein ruhiges Viertel. Wer aber hier wohnen will, sollte die nicht gerade niedrigen Miet- und Grundstückspreise beachten, wie beispielsweise die Suchergebnisse im Internet aufzeigen.

Neben solchen privaten Communities sind aber auch etliche öffentliche Wohnviertel für Auswärtige (fast) gesperrt: Weil Polizei und Justiz Diebstähle und Einbrüche nicht verhindern können, oder die Straßen durch in Mexiko-Stadt rabiat bretternde Busfahrer unsicher gemacht werden, suchen Anwohner eine eigene Lösung – und schotten sich ab. Der Begriff hierfür heißt „Colonia cerrada“: geschlossenes Viertel.

Und das sind nicht wenige. So berichtete die Tageszeitung Excélsior im Jahr 2011 unter Verweis auf die städtische Polizei, dass nach deren Zählung 805 Straßen durch solche Sperren blockiert seien. Wer das selber überprüfen will, kann ja mal Google Maps aufrufen, im Streetview-Modus: Was grau unterlegt ist, da war das Auto des Suchmaschinen-Giganten nicht drin.

Legal ist das, die Privat-Condominios ausgenommen, nicht wirklich (die mexikanische Verfassung garantiert in Artikel 11 die Bewegungsfreiheit), wird aber seitens der Behörden geduldet oder per Vereinbarung gebilligt. Manchmal werden solche Barrieren auch abgebaut, wenn eine örtliche Verwaltung den versperrten Raum wieder für die Öffentlichkeit zugänglich machen will – auch wenn die betroffenen Anwohner dann auf eine aus ihrer Sicht unzureichende Polizeipräsenz hinweisen. Örtliche Medien berichten immer wieder davon, zum Beispiel hier oder hier.

Wenn also mal jemand in Köln den besagten Platz im Ehrenfeld-Viertel aufsuchen wollte und auf dem Weg dahin durch die anliegenden Straßen schlendert, vorbei an den Mehrfamilienhäusern, ohne durch Schranken oder Wachleute daran gehindert zu werden: Es geht auch anders. In Mexiko-Stadt. mc/voyyestoy.com


Wohngebiete ohne Sperre

PS: Es gibt natürlich auch zig-andere Colonia, die NICHT abgeschottet sind. Dazu zählen beispielsweise die zentralen Wohnviertel, und auch viele einfachere Colonia an den Stadträndern. Auch die ehemalige „Villa olímpica“ in Coapa, im Südosten der Stadt, ist nicht gesperrt. 1968, zur Olympiade, waren in den über 600 Häusern unter anderem die Schiedsrichter und Journalisten untergebracht. Wer danach sucht, findet das einstige Olympia-Dorf unter dem Namen „Unidad habitacional Narciso Mendoza“: Nach dem Sportfest wurden die Appartments verkauft, bis heute hat sich das Viertel seine Plattenbau-Architektur bewahrt. Und es ist bis heute frei befahrbar.

PPS: Narciso Mendoza muss eigentlich mit der Vorbennung „Artillerie-Kind“ (niño artillero) benannt werden. Im Alter von 12 Jahren soll er im Unabhängigkeitskrieg im Jahr 1812 eine Truppe spanischer Soldaten mit einer Kanone aufgehalten haben. Er wurde später Oberst und starb im hohen Alter von 88 Jahren. Aber das ist eine andere Geschichte.


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